Verbindungen, Austausch und Vielfalt in der Szene der zeitgenössischen Musik in der Romandie
Erste Gedankengänge und Projektskizzen
SONART-Musikschaffende Schweiz und das Festival-Archipel organisierten am 31. März 2019 ein Podiumsgespräch, das einen Überblick über bestehende Kooperationen geben soll um sich ein Bild von den Strukturen zwischen französisch- und deutschsprachigen Landesteilen machen zu können. MusikerInnen und OrganisatorInnen mit langjähriger Erfahrung in der zeitgenössischen Musik fanden sich hier zusammen.
Teilnehmende:Anne Gillot (Verantwortlich für den Bereich zeitgenössische Musik im Radio RTS, Musikerin Lausanne), Béatrice Zawodnik (Musikerin, Studienleiterin an der HEM-Genf), Désirée Meiser (künstlerische Leiterin Gare du Nord, Basel), Julien Annoni (Co-Direktorin Usinesonore Festival, La Neuveville) und Daniel Haefliger (Musiker, künstlerischer Leiter der Swiss Chamber Concerts, Genf), unter der Co-Die Moderation erfolgte durch Antoine Chessex (Komponist, IGNM, Vevey/ Zürich) und Gabrielle Weber (Musikerin, Verantwortliche für zeitgenössische Musik SONART, Lausanne/Zürich).
Wie sieht es aus mit der Präsenz von Ensembles aus der Romandie in der deutschsprachigen Schweiz?
Anne Gillotweist darauf hin, dass musikalische Uraufführungen jedes Mal etwas von einem Wunder an sich haben und dass die von der Gegenwart absorbierten Komponierenden oft Schwierigkeiten haben, sich ihre eigene Zukunft vorzustellen, auch wenn sie im nahen Bereich liegt. Außerdem wird die Frucht dieser intensiven Momente des Schaffens zunächst oft nicht als Produkt betrachtet und dessen «Verkauf» liegt darum oft nicht im Vordergrund.
Ihre Beobachtung ist, dass das Hindernis für die Bemühungen um Austausch eher im Zeitmangel liegt als in unterschiedlicher Mentalität. Die Ensembles, in denen sie spielt, träten auch aus Budgetgründen eher im Ausland auf als in der Deutschschweiz. In Bezug auf das Radio RTS erklärte Anne Gillot, dass die Verteilung des Gebiets vordefiniert ist. Außerdem haben die beiden Radiogesellschaften SRFund SRGnicht immer die gleiche Funktionsweise (Radio SRFmacht z.B. weniger Direktsendungen). Es gibt zwar dreisprachige Sendegefässe, jedoch werden sie selten genutzt, Anne selbst träumt eigentlich von einem gemeinsamen Studio.
Désirée Meisererklärt, dass Gare du Nordnur ganz wenige Ensembles selbst einzuladen vermag, weil sie nicht über das dafür notwendige Budget verfügt. Wer im Gare du Nordspielen möchte, hat die Kosten zu begleichen. Es gibt jede Saison ein anderes Ensemble in Residence: So wird Contrechampsin der nächsten Saison viermal auftreten: Gare du Nord wird ein Konzert selbst übernehmen, die anderen drei werden von Contrechampsbetreut.
Die Saison 2020-21 steht ganz im Zeichen der Westschweiz, Désirée sammelt derzeit Informationen und Ideen.
Für Béatrice Zawodnik existiert der Röstigraben eigentlich nicht, sie hat in Basel und Zürich studiert und immer auf beiden Seiten der Saane gewirkt. Für sie kommen die Barrieren hingegen aus der Richtung schwer erreichbarer Zielgruppen. Die Zusammenarbeit zwischen Contrechampsund dem Collegium Novumwar zum Beispiel ein Erfolg: Jedes Ensemble programmierte sich im Rahmen seiner Saison gegenseitig. Oder dann kamen mehrere Ensembles zusammen, um Pli selon pli von Pierre Boulezzu spielen.
Was die Studierenden betrifft, so ist die Wahrscheinlichkeit allgemein höher, dass sie im Ausland studieren als in einem anderen Kanton. Die Musikhochschulen organisieren interinstitutionelle Kooperationen (große Orchester, Chöre), aber es ginge noch besser: Die ZHdKarbeitet mit Hongkong zusammen, aber mit Genf.....?
Daniel Haefligerweist darauf hin, dass der Mangel an Öffentlichkeit das eigentliche Problem ist. In den Swiss Chamber Concerts begannen sie die verschiedenen Sprachregionen nach ihren Möglichkeiten und Kompetenzen aufzuteilen. Es funktioniert sehr gut, aber es erfordert viel Arbeit, Anpassung und Übersetzung (Schreiben eines detaillierten Programms in drei Sprachen) und er unterstreicht, dass dieser Erfolg ohne lokale Verwurzelung und viele persönlichen Kontakten unmöglich wäre.
In Bezug auf die Frage der Öffentlichkeit berichtetJulien Annoni, dass sich Usinesonorezwei Jahre lang Gedanken gemacht hat, um die Prioritäten und Strategien der Programmierung festzulegen. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, nur das zu programmieren, was sie für wesentlich halten. Neben Konzerten wurden Konferenzen und Screenings eingeführt und damit ihrem Publikum Werkzeuge zur Verfügung gestellt. Aufgrund der geografischen Lage von Usinesonoregenau auf der Sprachgrenze gibt es seiner Meinung nach auch keinen Röstigraben, aber er weist auch darauf hin, dass die Vorschriften der Förderorganisationen eine grosse Verbreitung gar nicht zulassen. Als Musiker spielt Julien Annoni nicht in der deutschsprachigen Schweiz, weil er einfach nicht darüber nachdenkt. Die Zusammenarbeit zwischen den Landesteilen scheint ihm jedoch eine gute Strategie zu sein.
Anne Gilloterachtet die Website von Label Suisse und ihr Austausch über Stile und Zielgruppen als gute Inspirationsquelle für Überlegungen zum Abbau von Barrieren.
Katharina Gohl Moser(Vorstand SONART) fragt, wie der Nutzen dieses Treffens allgemein eingeschätzt wird, und die Antwort war einstimmig: unverzichtbar.
Die Diskussion mit dem Publikum wird eröffnet und es werden Voten ausgesprochen für mögliche Wege, die beschritten werden könnten:
- Austausch zwischen Gruppen, SONART könnte die Verbindung herstellen
- Übersetzungen von EnsembleDossiers zur Erleichterung des Austauschs
- Aufgleisen einer strukturellen Zusammenarbeit zwischen Genf und Zürich
- Saisonale Konzerte in einem anderen Landesteil ermöglichen
- Andri Hardmeier(Pro Helvetia) weist auf eine der Aufgaben von PH hin: Wenn ein Impuls aus der Musikszene für ein AustauschProjekt zu PH getragen wird, kann dafür Unterstützung beantragt werden. PH wird aber nicht von selbst aktiv.
- Wenn man eher von Spielorten ausgeht als von einzelnen Ensembles sind z.B. Usine Kugler / Schutzraumgute Orte für Austausch
- Suisse Diagonales Jazzist ein Modell, das auch für die zeitgenössische Musik Bedeutung erhalten könnte.
- Jedes Ensemble könnte für ein Konzert pro Saison einem Gastensemble Platz machen.
- Organisieren Sie Schweizer Musiktage auf nationaler Ebene (z.B. Tanzfestival)!
- Antoine Chessex kündigt eine IGNM/EklektoKoproduktion für die nächste Saison an.
Jocelyne Rudasigwa / Dt. Übersetzung: Käthi Gohl Moser, April 2019